Und ab wann es nicht mehr greift

 

Ein befreundeter Unternehmer (Dienstleistungen im sozialen Sektor, 50 Mitarbeiter) sah in seiner bestehenden Cloud-Lösung ein Geschäftshemmnis: in Konflikt stehende Kopien mussten nach verspätet durchgeführten Synchronisationsvorgängen manuell aufgelöst werden, Daten gingen verloren, Reports waren unvollständig und Frustration wegen fehlender Übersicht über Kundenfälle.

Was tun?

Die intuitive Idee war, auf bessere Technologie zu setzen: Ein zentrales VPN, Laptops mit permanenter Internetverbindung durch SIM-Karten, eventuell zwei Devices pro Mitarbeiter.

Aus meiner Sicht ist High-Tech ein allzu offensichtlich gültiges Prinzip im Geschäft.

Warum auch nicht?

Hier meine Gründe, warum ich, privat natürlich ein Tech-Fan, im Mittelstand eher vorsichtig bin, neuere Technologien einzuführen:

  1. Fixkosten: Mittelständische Unternehmer haben engere Investitions-Budgets und weniger „Skalierung“ als große Konzerne. Bis sich die Investition rechnet, braucht es tendenziell lange.
  2. Laufende Kosten für nicht-Kerngeschäfts-Aktivitäten: Neue Technologien bringen normalerweise Kosten durch externe Dienstleister. Wenn man dies durch eigene Mitarbeiter vermeiden will, sind höhere Personalkosten unvermeidbar. Beispielsweise kostet eine erste, simple Nextcloud-Installation bis zur praktischen Nutzbarkeit (Konfiguration, Verschlüsselung, Mitarbeiterschulung, Testphase) schnell mehrere Arbeitstage. Das ist natürlich noch verschmerzbar, aber der eigentliche Aufwand entsteht beim Schulen aller Mitarbeiter, den regelmäßigen Updates und dem unvermeidlichen Trouble-Shooting („also bei mir sind jetzt alle grünen Häkchen weg! Synchronisiert die noch oder bin ich offline?“).
  3. Führbarkeit: Aber immerhin sind bei einer von der internen IT gemanagten Lösung noch interne Führung möglich, während ein externer Lieferant plötzlich andere Prioritäten haben kann (z.B. einen neuen Kunden, bei dem er höhere Margen bekommt), aber auch Pleite gehen und auf jeden Fall außerhalb der eigenen Zugriffsmöglichkeit ist.
  4. Verlust des Verantwortungsgefühls: Mit der Abhängigkeit von externen, aber auch internen Experten werden die Nutzer einer Lösung eher zum „nicht-mitdenken“ statt zum pragmatisch lösen genötigt. Ein Sonderwunsch in einer Bestellung per Email kann ich einfach als Kommentar ergänzen, aber um im SAP-System ein neues Feld anzulegen muss ein Mitarbeiter leider auf die Antwort von IT warten. Tatsächlich kann der Mitarbeiter also nicht mit dem System arbeiten und fängt an, parallele Systeme aufzubauen oder wartet eben passiv ab, bis „andere“ ihren Job endlich gemacht haben und das System funktioniert.
  5. Eingeschränkte Flexbilität: Der vielleicht am wenigsten berechenbare Effekt ist, dass mit der Investition in eine Lösung, die Hürde für zukünftige Lösungen höher gelegt wird. Eine Anforderung ändert sich (DSGVO wird eingeführt), das Geschäft verschiebt sich (z.B. die Anzahl der zu verwaltenden kleinen Fälle nimmt nach Corona wieder ab, dafür wieder wenige, aber große Projekte vor Ort) und schon würde man vielleicht lieber eine andere Technologie nutzen, ist jetzt aber „locked-in“.

Ein schlanker & klar aufgesetzter Prozess, zusammen mit im Team definierten Standards, kann viele Probleme lösen, bei denen man zuerst an eine neue Technologie denkt. Das erfordert zwar Führungsarbeit, ist aber frei von allen oben mit Technologie einhergehenden Problemen und zwar insbesondere von der Unflexibilität. Im Fall des Sozial-Unternehmers wäre ein Prozess-Ansatz gewesen, strikt die Dateien, in denen die Mitarbeiter Daten eingeben, von denen zu trennen, in denen Auswertungen gefahren werden. Etwas schwieriger, in Excel aufzusetzen (Zellbezüge aus dem Worksheet raus, anfällig gegen Namensänderungen in Ordnern und Dateien), aber dafür robust gegen verspätete Synchronisation wegen fehlender Internetverbindung unterwegs.

Darum!

Das „LowTech-Prinzip“ besagt also, dass man so lange es noch irgendwie vertretbar ist, mit einer technologisch möglichst simplen Lösung arbeiten sollte. Z.B.

Lieber LowTech Als HighTech
Whiteboards auf die Maschinenführer Probleme aufschreiben Statt schick aussehende Excel-Tabellen, die aus technischen Gründen nur der Schichtleiter bearbeiten kann
Emails versenden mit einer guten Email-Kultur Statt firmeninterner Foren und Messenger, die leider keine Zusammenarbeit mit Lieferanten und Kunden ermöglichen (außer, diese nutzen zufällig den gleichen)
Eine eigene NextCloud Installation mit gut designtem Informations-Fluss (Prozessdesign) Als in Laptops mit SIM-Karte zu investieren, die dauerhaft online in einem VPN sein könnten

Schreibt also der Geschäftsprozesstherapeut seine Artikel noch mit der Schreibmaschine? Nein, denn das LowTech Prinzip hat seine Grenze wenn es ums Kerngeschäft geht. Das heißt konkret, um mit dem offensichtlichen anzufangen, wenn Ihr Angebot zum Markt durch Technologie besser wird. Wenn also eine Forschungseinrichtung einen Wirkstoff durch In-Silico Simulationen schneller entwickeln kann werden kann, wenn ein Service-Center Kundenanfragen dank Algorithmen und Datenbank schneller kategorisieren und Anfragen beim ersten Anruf lösen oder wenigstes zum richtigen Experten leiten kann, dann ist das natürlich sinnvoll.

Dazu stellt sich die Frage an den Unternehmer, über welchen Zeitraum, und in diesem wie oft, die Technologie genutzt werden wird.

Beim Sozial-Unternehmer ging es um Kernprozesse, nämlich die korrekte Bearbeitung von den seiner Firma anvertrauten Fällen und damit Mitmenschen! Er fand einen auf seine Branche spezialisierten Anbieter, der schon länger am Markt ist, die Cloud-Lösung regelmäßig weiterentwickelt und aktuell einen vernünftigen Preis verlangt. Hoffen wir, dass es so bleibt, die Abhängigkeit ist jetzt da, aber dank vollständig exportierbarer Datensätze kein allzu großes Risiko.

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